Positionspapier "Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht"


Offizielles Positionspapier zu Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht von TERRE DES FEMMES - Menschenrechte für die Frau e. V.:

 

Als Frauenrechtsorganisation strebt TERRE DES FEMMES (TDF) grundsätzlich eine Welt an, in der kein Mensch von Gewalt oder Diskriminierung betroffen ist. Das Kernanliegen von TDF ist, die Gleichberechtigung der Geschlechter zu verwirklichen. TDF arbeitet seit der Gründung an der Abschaffung patriarchaler Strukturen und damit von geschlechtsbasierter Diskriminierung und Gewalt an Mädchen und Frauen. Wir haben die Gleichheit, Gleichwertigkeit und Erfahrungen von Mädchen und Frauen im Blick.

 

Als Frauenrechtsorganisation wendet sich TDF gegen jede Form von Menschenrechtsverletzungen, denen Mädchen und Frauen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht ausgesetzt sind, ungeachtet ihrer konfessionellen, politischen, ethnischen und nationalen Zugehörigkeit sowie ihrer sexuellen Identität. Dieser Zweck ist in unserer Satzung verankert und dort, ebenso wie in unserem Feministischen Leitbild, definieren wir "Frauen" - in Übereinstimmung mit der Definition Internationaler Konventionen (z.B. CEDAW und Istanbul-Konvention) und des deutschen Duden - als „Personen des weiblichen Geschlechts“.

 

Als Menschenrechtsorganisation solidarisieren wir uns mit allen Menschen, die sich aufgrund ihrer Ausgrenzungserfahrung in der LGBTQI+ Community politisch zusammengeschlossen haben. Auch wenn die Kernanliegen von TDF nicht explizit die (Gewalt)Erfahrungen dieser Menschen umfassen, stehen wir an ihrer Seite und unterstützen ihre Bestrebungen, sich gegen Diskriminierung zu wehren und für ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu kämpfen. Auch hier liegt unser Augenmerk auf den Frauen und Mädchen.

 

Für die patriarchale Geschlechterordnung ist das biologische Geschlecht (Sex) der Anlass für die Unterdrückung von Mädchen und Frauen. Patriarchale duale Logik trennt und hierarchisiert Menschen entlang des biologischen Körpers von männlich und weiblich. Aus biologischen Unterschieden (biologisch Geschlecht/Sex) werden soziale Geschlechter (Gender) konstruiert, die als "natürlich" vermittelt und dann so wahrgenommen und systemkonform erlebt und gelebt werden.

 

Die Arbeit von TDF fokussiert sich auf jene, die aufgrund ihres gegebenen, weiblichen Geschlechts (Körpers) diskriminiert und mit patriarchalen Erwartungen eingeschränkt werden. Sie hinterfragt jede Zuweisung von Eigenschaften auf Grundlage des weiblichen Geschlechts (Beispiel: Frauen sind emotionaler, weil sie Frauen sind, Frauen müssen Kinder kriegen und für sie sorgen, weil sie biologisch dazu befähigt wurden etc.)

 

Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass Mädchen und Frauen eigene Schutz- und Freiheitsräume erhalten, die ihnen eine freie Entfaltung, weit weg von patriarchalen Vorstellungen, ermöglichen. Das Patriarchat wird seiner Wirkmacht beraubt, indem immer mehr Menschen mutig aus dem engen Korsett der Geschlechterstereotype ausbrechen, sich nach eigener Weise bewegen, kleiden, lieben, ohne das biologische Geschlecht zu verlassen.

 

Wir stellen fest, dass insbesondere lesbische Mädchen und Frauen und alle, die sich geschlechtsspezifischen Erwartungen verweigern, unter patriarchalen Rollenvorstellungen leiden. Als TDF setzen wir uns dafür ein, dass eine Vielzahl von Lebensentwürfen von Frauen unabhängig von patriarchalen Vorstellungen in der Gesellschaft Akzeptanz finden. Unser Ziel ist es, dass patriarchale Rollenverständnisse und Körperbilder verschwinden.

 

Die Struktur patriarchaler Macht kann jedoch nicht bekämpft werden, wenn der Anlass der patriarchalen Geschlechterordnung – die Biologie (Sex) – mit Gender gleichgesetzt wird. Kein Mädchen dieser Welt kann innerhalb des Patriarchats der Zweitrangigkeit und potentiellen sexuellen Ausbeutung und Gewalt entrinnen, indem sie sich als "Nicht"-Mädchen‘ fühlt und deklariert. Kein Junge dieser Welt, der sich per Willenserklärung vom, Junge-Sein" verabschiedet, kann den patriarchalen Erwartungen entrinnen, die ihn als zum ‚stärkeren Geschlecht‘ gehörig definieren.

 

Transgender bilden eine vulnerable Gruppe, weil auch sie nicht den patriarchalen Vorstellungen entsprechen. TDF unterstützt Transgender in ihrem Recht, ihr empfundenes Geschlecht selbstbestimmt ausdrücken zu können.

 

TDF begrüßt den gesellschaftlichen Wandel, der transsexuelle Menschen nicht länger als "krank" oder "gestört" betrachtet, sondern ihre gefühlte Geschlechtszugehörigkeit im Sinne ICD 11-WHO und DSM 5 als „Normvarianten im Gender-Spektrum“ gelten lässt.

 

Ein Eintritt durch Transition in fest definierte Geschlechterrollen mit den ihnen entsprechenden Stereotypen ändert allerdings nichts an Binarität oder Hierarchisierung innerhalb des Systems. Er kann im Gegenteil dazu beitragen, das Patriarchat fortzusetzen, zu bekräftigen und sogar dazu führen, patriarchale Logik, Sozialisation und Strukturen in Frauenräume, hineinzutragen. Wir unterstützen das Recht, das empfundene Geschlecht auszudrücken, setzen aber dort Grenzen, wo dieser Ausdruck das Recht von Frauen auf eigene Räume (z.B. Frauenhäuser) und Selbstorganisation auch unter Bezug auf den Körper betrifft.

 

Mädchen müssen im Prozess auf der Suche nach sexueller Orientierung und Identität bestmöglich, d.h. durchaus auch hinterfragend, unterstützt werden. Keinesfalls darf dem Wunsch zur Transition einer Minderjährigen undifferenziert und ohne fachkundige Prüfung und Beratung über Ursachen und Folgen ihres Wunsches nachgegeben werden.

 

Das gilt ganz besonders, wenn mit der Transition körperliche Eingriffe (Hormonbehandlung und operative Eingriffe) verbunden werden. Das verstehen wir unter Mädchenschutz. Mädchen haben insbesondere in der Pubertät genügend Anlässe, lieber Jungen sein zu wollen, um dem zu entgehen, was sie in der Gesellschaft an Diskriminierung und Abwertung erleben. Fachleute stellen beim Wunsch nach Transition bereits eine "irritierende Auffälligkeit bei Jugendlichen" fest. Beispiel: in München (05/20) wollen achtmal mehr Mädchen zu Jungen werden als umgekehrt.

 

Als Frauenrechtsorganisation fordert TDF seit 40 Jahren weibliche Selbstbestimmung: my body my choice! TDF grenzt sich allerdings ab von extremen Positionen, die Frauen das Frausein absprechen wollen und damit den körperbezogenen Begriff "Geschlecht" beziehungsweise "Frau" löschen wollen. TDF macht sich schon immer dafür stark, dass geschlechtsspezifische Daten erhoben werden müssen. Durch Bestrebungen, den Geschlechtseintrag bei der personenstandsrechtlichen Registrierung abschaffen zu wollen, wäre dies, entgegen den internationalen Verpflichtungen Deutschlands (z. B. der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen), unmöglich. Statistiken zu geschlechtsspezifischer Gewalt (Partnerschaftsgewalt, Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe, Femizid, Ehrverbrechen, Menschenhandel usw.), dem Gender Pay Gap und sämtlichen Formen der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht würden damit abgeschafft.

 

Gewalt an Frauen und Mädchen sichtbar zu machen und zu verhindern, ist und bleibt Aufgabe von TERRE DES FEMMES.

 

 

(Das Positionspapier wurde verabschiedet bei der Mitfrauenversammlung am 12. September 2020)


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Positionspapier "Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht" 12. September 2020
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